Das war unsere #texttour18!

Hier einige Eindrücke in Text und Bild.

Im Nieselregen werden wir von Böen auf den Kölner Ebertplatz geweht, als wir Ende September die letzte Station unserer „TextTour“ aufbauen wollen. Heliumballons an Backsteine binden, Roll-Ups aufstellen, Gedicht-Texte auf den Boden kleben: dauert viel länger als geplant, wenn entweder der Wind alles davonbläst oder auf dem nassen Boden kein Klebeband halten will. Aber bei lyrix bleibt man nicht lang allein. Schon bald nahen die ersten Lyriker*innen und waren wir anfänglich noch gestresst, weil doch längst alles fertig sein sollte, entsteht spontan die erste Gemeinschaftsaktion an diesem Tag. Alle überlegen, wie man den Platz, der für den Moment fast menschenleer, aber sonst auch regelmäßig Schauplatz von Gewalt und Drogengeschäften ist, mit Gedichten pflastern kann. Zeit für eine Wiederbelebung, so wie sie auch die Initiative „Unser Ebertplatz“ verfolgt, mit der wir hier zusammenarbeiten. Die Lyriker*innen Özlem Özgül Dündar und Martin Piekar suchen nach Stellen, an denen das Klebeband hält – die Mülleimer sind zum Beispiel dankbare Gedichthalter. Sabine Schiffner und Norbert Hummelt hängen Gedichte an einem Bauwagen auf. Auch die Ballon-Deko mit „10 Jahre lyrix“ steht jetzt um den Brunnen. Plötzlich wird es laut und voll: Die an der Aktion beteiligte achte Klasse des Dreikönigsgymnasiums ist da. Schon in den vorangegangenen Wochen hatten die Schüler*innen – ganz im Sinne der Kölner „TextTour“-Station unter dem Namen PLATZDICHTUNG – den Platz bedichtet und eigene Gedichte rund um den Ebertplatz geschrieben, sogar eigens ein Heft mit ihren Texten und Fotos gestaltet.

Und auf einmal läuft es rund: Das Wetter klart auf, der Platz füllt sich nach und nach, Erstsemester machen sportliche Kennenlernspiele, Passanten wagen sich nach dem Regen wieder nach draußen. Viele sind neugierig und sprechen uns an. Was macht ihr hier? Was passiert noch? Was ist eine PLATZDICHTUNG? Eine Frau schreibt ein Gedicht auf, dass sie schon ein halbes Leben in sich trägt, was nur noch keiner hören wollte. Zusammen mit ihnen, den Lyriker*innen und den Schüler*innen verschicken wir lyrische Grüße: 100 Ballons mit Gedicht-Geschenken fliegen in die Luft und verabschieden sich leuchtend lila in den mittlerweile blauen Himmel. Den Tag schließen wir mit einer Lesung ab, die zum absoluten Höhepunkt wird. Auch hier zunächst wieder Hektik und Improvisieren. Der Raum, der uns von Künstler Piet Hume in der Ebertplatzpassage zur Verfügung gestellt wurde, ist zu klein für alle Gäste, Eltern und Schüler*innen – ein Luxusproblem. Kurzerhand wird geräumt, alle packen wieder mit an und dann stehen wir dicht an dicht und hören den Gedichten von Sabine Schiffner, Özlem Özgül Dündar, Norbert Hummelt, Martin Piekar und den Schüler*innen des Dreikönigsgymnasiums zu. Gemeinsam beleben sie den Platz mit ihren Gedichten und spätestens jetzt wissen wir: Nächstes Jahr wollen wir noch mehr solcher Momente. Auf eine „TextTour“ 2019!

Die „TextTour“ ist mehr als ein Geburtstags-Event, sie schafft an so verschiedenen Orten wie dem Kölner Ebertplatz oder dem Leipziger Zoo zum einen Verbindungen zwischen prominenten Autor*innen, lyrix-Alumni und Schüler*innen, die vielleicht das erste Mal in ihrem Leben ein Gedicht verfasst haben. Zum anderen macht sie Lyrik publik und führt Autor*innen und Zuhörer*innen zusammen, schafft auch dort Zugänge, wo keiner sie erwartet hat. Mit den Worten von Martin Piekar, lyrix-Alumnus und inzwischen mehrfach prämierter Lyriker: „Es kann dir nichts Besseres passieren, als dass dich auf der Straße plötzlich ein Vers überfällt.“ Oder im Zoo. Los geht es mit der diesjährigen „TextTour“ nämlich im Leipziger Zoo, wo Lyriker*innen wie Anja Kampmann, Saskia Warzecha, Mikael Vogel oder Carl-Christian Elze als „Wortfütterer“ unterwegs sind und Besucher mit spontan vorgetragenen Gedichten überraschen. „Da gibt es auf einmal zwei ganz unterschiedliche Kulturen nebeneinander“, fasst die Leipziger Autorin Sibylla Vričić Hausmann die Situationen zusammen, in denen mit Getränken, Keksen und Kinderwägen bepackte Familien fragend die vortragenden Dichter*innen betrachten. Eine Woche später machen wir in und mit Freiburg Verse: Installationen vom Streetart-Projekt „Tree of Messages“ und Lesungen in der Innenstadt schenken Passanten und Touristen Gedichte. Weiter geht die Tour am folgenden Wochenende in München. Mit Verstärkung der Stiftung Lyrik Kabinett heißt es dort „Lyrik im Laden“, genauer gesagt im Buchladen. Karin Fellner, Nora Zapf, Daniel Bayerstorfer und lyrix-Preisträger lesen mit Münchener Schülern in vier Buchhandlungen, darunter Literatur Moths oder die Autorenbuchhandlung. Auf dem Weg von Buchhandlung zu Buchhandlung verteilen Schüler*innen Gedicht-Anhänger mit eigenen Texten und Zeilen von Profi-Lyriker*innen sowie lyrix-Alumni. Und eine Woche später stehen wir zum Finale der „TextTour“ auf dem Kölner Ebertplatz und erobern auch den Himmel für Verse.

Lyrik auf die Straße und unter Zoobesucher*innen, Passanten, Ladenbummler*innen oder Touristen zu bringen erfordert Ausdauer, eine laute Stimme und Mut. Ein Experiment, das nur dank Vieler gelingen konnte und gezeigt hat, was aktuelle Lyrik ist und sein kann. Mit der „TextTour“ erschließt sich lyrix buchstäblich Raum für seine grundlegenden Zielsetzungen: lyrix ist ein Online-Wettbewerb, aber alles andere als anonym: Im Mittelpunkt steht die Begegnung mit junger Lyrik und ihren Verfasser*innen. Der Bundeswettbewerb für junge Lyrik fördert nicht nur Nachwuchslyriker*innen, sondern macht zeitgenössische Lyrik unter Jugendlichen bekannt und vermittelt ihnen Poesie als mögliche eigene Ausdrucksform. Und das nun schon seit zehn Jahren. Und was kommt dann? Geplant für 2019 sind u.a. ein Flashmob auf dem Frankfurter Goetheplatz in Kooperation mit der Stadtbücherei und vielleicht Lyrik in der Bahn zum Vorlesetag. Und 2020, 2021, 2022? Da flattert einer der Gedichtanhänger „Dies ist ein Geschenk“ auf die Straße, mit Zeilen von Tristan Marquardt: „das gute an vorstellung ist: alles, was du siehst, sieht dich nicht.“ In diesem Sinne freuen wir uns auf die Zukunft und auf Gedicht-Überraschungen – ÜBERALL!
 
Fotos Bildergalerie:
01 – 05: TextTour Station#1: WORTFÜTTERUNGEN – Kurze Lesungen für die ganze Familie im Zoo Leipzig, © Sascha Kokot
06 – 10: TextTour Station#2: FREIBURG MACHT VERSE! – Gedichtgeschenke, Lesungen und Poesie-Installationen, © Sina-Maria Wohlrab
11 – 15: TextTour Station#3: LYRIK IM LADEN – Kurze Lyriklesungen und Gedichtgeschenke in Münchener Buchläden, © Carolin Kramer
16 – 20: TextTour Station#4: PLATZDICHTUNG – Der Kölner Ebertplatz dichtet, © Harald Sorgen

Schreibe, um zu träumen.